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Das blaue Schaf

Unter den vielen weißen Lämmchen einer großen Schafherde war eines, das hatte, schon als es auf die Welt kam, kleine blaue Spritzer in seiner Wolle, so, als hätte jemand seinen Federhalter an ihm abgewischt. Zuerst lachten die anderen Schafe darüber und auch der junge Schäfer und sein Hund, aber als es größer wurde, wurden auch die Flecken immer größer, und schließlich war das ganze Schaf blau. Da sagten die anderen Schafe: "Geh weg, du häßliches Blauschaf", und der Hund biß es, sobald er es nur sah.

blauschaf
Da wurde das blaue Schaf sehr traurig. Es konnte doch nichts dafür, daß es blau war.
Schließlich suchte es Schutz beim Schäfer, und dieser zankte den Hund und die Schafe
aus: "Schämt euch, was kann denn das Schaf für seine Farbe?" - "Es ist anders als wir,
und das gefällt uns nicht", erwiderten die Schafe. Weil sie aber den Hirten gern hatten,
ließen sie nun das blaue Schaf in Frieden, wenigstens solange er in der Nähe war. Ging er
aber einmal weg, so fing das Gespött schon wieder an. Das blaue Schaf hörte vor Kummer
auf zu fressen und wurde immer dünner. Da nahme es der Schäfer mit in seinen Karren
und brachte ihm das schönste Gras. Aber das blaue Schaf hatte Heimweh nach den
anderen Schafen und wurde krank.

Der Schäfer überlegte lange, wie er ihm wohl helfen könne - und eines Morgens hatte er
einen Einfall. Er nahm seine größte Schere und schnitt dem Schaf all die großen blauen
Locken ab, dann sah er sich die kleinen kurzen Härchen an, die übriggeblieben waren, und
sagte: "Das werden wir bald haben." Er erinnerte sich, daß seine Mutter, welche die
Wolle der Schafe spann und verwebte, eine Flasche mit Bleichwasser besaß, mit dem sie
die Wolle tränkte, wenn sie zu grau war. Von diesem Bleichwasser wollte er sich etwas
holen, um die kleinen Härchen des blauen Schafes hell zu machen.

Er nahm also ein bißchen blaue Wolle, ermahnte den Hund, recht gut auf die Herde
achtzugeben, legte dem geschorenen blauen Schaf schönen saftigen Klee hin und ging in
die Stadt. "Ei", staunte da die Mutter, "was ist das für schöne blaue Wolle? Die ist ja
blauer als der Himmel! Davon müßte ich recht viel haben, dann könnte ich die
wunderbarsten Sachen daraus weben. Wo hast Du die schöne Wolle her?" Da erschrak
der Schäfer, denn er fürchtete, die Mutter würde darauf dringen, daß er das Schaf blau
ließe, und dann würde das Schaf ewig traurig bleiben. Er überlegte, was er sagen sollte
und wurde ganz rot, weil er doch seine Mutter nicht anlügen wollte. Die Mutter fuhr ihn
an: "Hast du die Wolle etwa gestohlen, du Bösewicht?" - "Nein", sagte der Schäfer und
schwindelte schnell drauflos: "Es kam ein fremder Mann aus dem fernen Indien
hergewandert. Er handelte mit Wolle und bat mich um Bleichwasser, denn seine alte
Flasche sei leer. Da habe ich versprochen, ihm etwas zu besorgen, und als Bezahlung hat
er mir blaue Wolle gegeben" - "Dacht ich's mir doch", erwiderte die Mutter, "daß dies
eine besondere Wolle sei. Hier hast du die Flasche und lasse dir von dem Inder nur noch
etwas von der blauen Wolle geben." Der Schäfer dankte und war froh, daß er so gut
davongekommen war.

Bei der Herde angekommen, nahm er flugs das Fläschchen und einen kleinen Pinsel und
begann jedes einzelne Haar des Schafes damit zu bestreichen. Das war eine mühsame
Arbeit, aber das blaue Schaf war schließlich so hell wie die anderen, und keines der
Schafe erkannte es wieder, so daß es fortan mit den anderen springen und sich tummeln
konnte. Darüber war es sehr glücklich. Von nun an nahm der Schäfer das blaue Schaf
immer heimlich mit in seinen Karren und pinselte es ein, sobald die blaue Farbe wieder
durchschimmerte.

Eines Tages aber sah er mit Schrecken, daß die Flasche fast aufgebraucht war. Als er
noch darüber nachdachte, was er seiner Mutter erzählen sollte, sah er sie plötzlich über
die Wiese daherkommen. Außer sich vor Freude, berichtete sie ihm, daß sie die blaue
Wolle versponnen habe. Nun sei aber neulich ein vornehmer Herr vorbeigekommen, und
der habe durchs Fenster den blauen Schal und die blauen Handschuhe liegen sehen, die sie
daraus gestrickt habe, und da habe er wahrhaftig einen großen Geldschein auf den Tisch
gelegt und beides gekauft. Wenn sie nur noch mehr von der blauen Wolle bekäme, dann
könnten sie beide reich werden.

Da hielt es der Schäfer nicht mehr länger aus und erzählte der Mutter, wie es in
Wahrheit mit der blauen Wolle gewesen war, und sogleich wollte er ihr das blaue Schaf
zeigen. So sehr er aber suchte, er fand es nicht mehr, denn ein Schaf sah aus wie das
andere. Er zählte seine Schafe. Die Anzahl stimmte, und so mußte das blaue Schaf mit
bei der Herde sein. "Gott sei Danke", dachte der Schäfer trotz allem, "jetzt hat das
blaue Schaf endlich weiß geworden und hat seine Ruhe." Einen kleinen Rest der blauen
Wolle hatte er noch aufbewahrt, den gab er seiner Mutter, und die machte ihm ein paar
wunderbare Handschuhe daraus. Diese Handschuhe hat der Schäfer, der inzwischen ein
alter Mann geworden ist, heute noch. Sie gehen nie entzwei, und ihre Farbe ist noch heute
so blau wie der Sommerhimmel.